Frau Jacobi, was ist FBT?
In der familienbasierten Therapie (FBT) leiten speziell ausgebildete Therapeuten Eltern von an Magersucht erkrankten Kindern an und begleiten sie im Genesungsprozess. Die Eltern spielen eine zentrale Rolle in der Therapie und sorgen aktiv für die Wiederernährung ihres erkrankten Kindes. Als engste Bezugspersonen werden die Eltern zur wichtigsten Ressource in der Behandlung. Sie kennen ihre Kinder und wissen, wie diese vor der Erkrankung waren. Und sie lernen sehr schnell zwischen ihrem Kind und der Krankheit zu unterscheiden. Das hilft sehr, anorektische Verhaltensmuster zu erkennen und zu unterbrechen.
Wie viele FBT-Angebote gibt es in Deutschland?
Leider noch sehr wenige. Wir spüren aber zunehmend mehr Bereitschaft bei Therapeutinnen und Therapeuten, sich dem Thema zu öffnen. Neben FBT, welche in den angelsächsischen Ländern bereits als evidenzbasierte Therapie etabliert ist, gibt es mit dem Home Treatment (HoT) und der Multifamilientherapie in Deutschland weitere familienbasierte Modelle, die eine Elterneinbindung vorsehen.
Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Arbeit mit FBT?
Das Elternnetzwerk ist ein Selbsthilfeverein und kein Anbieter von FBT, das ist wichtig zu unterscheiden. In unseren Online-Gruppen sind aber viele Eltern, die ihre Kinder orientiert an familienbasierten Ansätzen zu Hause pflegen und betreuen. Vielen Kindern konnte mittels familienbasierter Ansätze ein Klinikaufenthalt erspart bleiben. Hilfreich sind die Beantragung von Pflegezeit und Pflegegeld. Manche Familien konnten zudem über eine Familienhilfe vom Jugendamt unterstützt werden. Das kann die Familie in dieser anstrengenden Zeit auf unterschiedlichen Ebenen entlasten.
Was raten Sie betroffenen Eltern?
Sie sollten sich von Beratungsstellen, Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten nicht in eine Hilflosigkeit treiben lassen. Wir empfehlen, sich über familienbasierte Modelle zu informieren, zum Beispiel bei uns. Wichtig ist und bleibt der Gang zum Kinder- oder Hausarzt, um den Gesundheitszustand abklären und regelmäßig überprüfen zu lassen.
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Wie könnte aus Ihrer Sicht die Krankheit erfolgreich bekämpft werden?
Nur wenn die Krankheit früh erkannt wird, kann schnell gehandelt und ein tieferes Abrutschen verhindert werden. Deswegen wünschen wir uns von der Politik mehr Aufklärung, um die Erkrankung und die Familien zu entstigmatisieren. Außerdem braucht es mehr Prävention an Schulen und im Hochleistungssport. Von Kinder- und Hausärzten wünschen wir uns eine Offenheit für familienbasierte Ansätze. Zudem sollten sie Eltern mehr Gehör schenken und sie ernster nehmen, wenn sie sich frühzeitig mit Sorgen zu Gewichtsverlust, Wachstumsstopp oder Verhaltensänderungen an ihren Kinder- oder Hausarzt wenden.
Gibt es in diesem Zusammenhang von Ihrer Seite Forderungen an die Politik, Kostenträger und/oder Medizin, um FBT in Deutschland bekannter zu machen?
Eltern sollten von Beratungsstellen, Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten über familienbasierte Modelle informiert werden. Für die Versorgungslandschaft wünschen wir uns den Ausbau von elternbasierten, multidisziplinären Angeboten, die Eltern stärken und befähigen, ihre Kinder im Alltag zu pflegen und begleiten – so wie es für andere chronische Erkrankungen bei Kindern, zum Beispiel Diabetes, völlig selbstverständlich ist. Wir fordern in dem Zusammenhang zudem, dass erkrankte Kinder, egal ob ambulant oder stationär behandelt, schnell und ausreichend wieder ernährt werden, um einer Chronifizierung vorzubeugen. Beim Entlassmanagement aus der stationären Behandlung sollten Eltern unbedingt einbezogen und ermutigt werden, die weitere Begleitung zu Hause zu übernehmen. Dazu sollten sie bereits während der stationären oder auch teilstationären Zeit eingebunden werden. Die Übernahme der Verantwortung durch die Eltern sollte auch gegenüber dem Patienten bzw. der Patientin so kommuniziert werden. Hinsichtlich der Kostenträger braucht es dringend die Anerkennung von FBT als Therapieform, damit diese bezahlt wird. Zudem braucht es ganzheitlichere Konzepte. Dazu braucht es eine Kostenübernahme für die Zusammenarbeit und Vernetzung von stationärer und ambulanter Therapie. Ideal aus Patientensicht wäre, wenn das stationäre Personal die Patienten auch ambulant weiter betreuen könnte.
Wie könnte aus Ihrer Sicht FBT schnell und unbürokratisch in Deutschland eingeführt werden?
Indem Eltern, egal in welchem Behandlungssetting, von Anfang an mit einbezogen werden und sich die Behandelnden über FBT und Elterneinbindung informieren. Wer Interesse hat: Das Elternnetzwerk Magersucht e. V. bietet Therapeuten, Klinikern und auch Schulen, Jugendämtern und Vereinen gerne Videokonferenzen zum Austausch an. Eltern können selbst aktiv werden, in dem sie beim örtlichen Therapeuten oder der behandelnden Klinik einfordern, eingebunden zu werden, und nach familienbasierten Ansätzen fragen.
Frau Jacobi, vielen Dank für das Gespräch.