Frank ist schon als kleines Kind lieber für sich, geht nicht gerne raus, ist ungern unter Menschen. Um seine Ängste, „habe ich nie ein Geheimnis gemacht“, sagt er heute rückblickend. Auch seine Eltern bestätigen: „Wir haben uns stets um eine offene und ehrliche Kommunikation bemüht. Frank hat die Dinge, die ihn bewegen, schon immer angesprochen.“ Als die Corona-Pandemie beginnt, kommt mit der verordneten Isolation ein weiterer – äußerer – Faktor hinzu: Frank ist jetzt sehr häufig in den einschlägigen Social-Media-Kanälen unterwegs. Als ihm die Krankheit das Essen so sehr erschwert, dass er deutlich an Gewicht verliert, wird sein Zustand schnell kritisch. „Dabei habe ich genau gemerkt, was ich da tue, aber ich alleine konnte nichts dagegen ausrichten. Zum Beispiel dieses ewige Kalorienzählen – ob Gurke, Gummibärchen oder Avocado. Ständig war ich damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was ich zu mir nehme“, sagt Frank.
Unsere Arbeit unterstützen„Ich habe genau gemerkt, was ich da tue, aber alleine konnte nichts dagegen ausrichten.“
Frank hat einen großen Schritt aus der Krankheit gemacht und will Medizin studieren.
Die Diagnose:
Die Diagnose kommt schnell – zum Glück. Die Familie trifft auf kundige Ärztinnen und Ärzte, vor allem die Kinderärztin schlägt Alarm und stellt die richtige Diagnose: Anorexia nervosa. Franks Gewicht ist bereits in einem kritischen Bereich. Oft dauert es viel länger, bis erkannt wird, dass jede Mahlzeit für Betroffene ein Kampf ist – verbunden mit Scham, Angst und dem starken Drang, Essen zu vermeiden.
„Aber“, sagt Franks Mutter heute, „wir waren trotzdem erst einmal sehr hilflos. Einen konkreten Therapievorschlag oder eine klare Handlungsanweisung haben wir zunächst nicht bekommen.“
Ein in Deutschland weit verbreitetes Problem: Zwar ist die Gefährlichkeit der Magersucht inzwischen bekannter als früher, doch dass möglichst schnell gehandelt werden muss, um eine fortschreitende Chronifizierung zu verhindern, ist vielen nicht bewusst. Alles muss darauf ausgerichtet sein, dass wieder ausreichend gegessen wird.
„Was für uns als Eltern konkret richtig ist, mussten wir uns selbst zusammenrecherchieren“, erzählt Kirsten.
Zunächst bleibt Familie Hoffmann also nichts anderes übrig, als regelmäßig alle Werte und vor allem Franks Gewicht zu kontrollieren. „Es gab einen Moment, der hat mir die Augen geöffnet“, erinnert sich Frank. „Ich war nach einem Termin bei der Kinderärztin mit meiner Mutter in der Küche. Sie hatte sehr geweint. Da habe ich gemerkt, wie viele Sorgen sie sich um mich macht. Ich muss in diesem Moment kapiert haben, wie ernst es ist. Jedenfalls habe ich mir damals gesagt: Ich brauche wirklich Hilfe – jetzt oder nie!“
Die Therapie:
Durch einen Zufall kann Frank an einer Studie teilnehmen – und wird mit der familienbasierten Therapie (FBT) behandelt. Seine Mutter war von Anfang an positiv gestimmt: „Einen Klinikaufenthalt wollten wir unbedingt vermeiden. Ich wollte meinen Sohn nicht mehrere Wochen oder gar Monate in einer Klinik wissen – Kontaktverbot zu uns inklusive.“
Frank bestätigt: „Das konnte ich mir auch nicht vorstellen. Es hat zwar etwas gebraucht, bis ich verstanden habe, dass ich nicht so weitermachen kann. Aber eine Klinik war für mich damals keine Option.“
Es war eine harte Zeit – das bestätigen Mutter und Sohn gleichermaßen. „Vor allem am Anfang brauchte Frank eine Rundum-Betreuung. Wir haben uns viele Dinge einfallen lassen – im Rückblick oft skurril – aber immer mit dem Ziel, Frank zum Essen zu bewegen oder ihm gut zuzureden, damit er lernt, mit der Angst vor dem Essen umzugehen.“
Wie ist das gelungen? „Vor allem mit viel Geduld.“ Frank ergänzt: „Meine Körperwahrnehmung war völlig schräg. Ich hatte panische Angst zuzunehmen, fühlte mich oft zu dick – obwohl das ja offensichtlich nicht stimmte.“
Die Mahlzeiten dauerten oft bis zu zwei Stunden. Es brauchte Zeit, bis die Familie lernte, wie sie mit Franks Angst vor dem Essen so umgehen konnte, dass sie langsam, ganz langsam weniger wurde.
Hinzu kamen körperliche Beschwerden, die sich durch die lange Mangelernährung entwickelt hatten. So war die erste Phase der FBT – die Wiederernährung – für Frank oft mit Bauchschmerzen und Völlegefühl verbunden.
Wie ist er durch diese Zeit gekommen? Frank überlegt nicht lange: „Ohne meine Familie hätte ich das nicht geschafft. Sie haben mich aufgefangen und mental getragen, wenn es nötig war – aber auch für die nötige Lockerheit gesorgt, damit es nicht zu schwer wird.“
Nach etwa sechs Monaten fiel es Frank zunehmend leichter, Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Er schmunzelt: „Ich habe mich wortwörtlich wieder zurück ins Leben gebissen.“
Anorexia nervosa ist eine schwere Krankheit.
Heute bekommt Frank weiterhin therapeutische Unterstützung in Form von ambulanter Einzeltherapie, um weiter an seinen Ängsten zu arbeiten. Er hat sein Abitur mit Bestnote abgeschlossen und sich an mehreren Universitäten für ein Medizinstudium beworben.